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Interview
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Claudia Slanar &
Dominik Kamalzadeh
Wie gefällt euch Graz und welche Vor-und Nachteile gibt es, dass das Festival NICHT in der Hauptstadt stattfindet?
Claudia: Graz gefällt uns total gut und wir mochten es schon immer gern. Seit die Diagonale in Graz ist, haben wir sie besucht und kennen die Stadt dadurch schon sehr lange. Trotzdem war es für uns überraschend, wie stark die Diagonale im kulturellen Leben von Graz eingebettet ist. Wie sehr sich alle drauf freuen und sagen: Ach, wir assoziieren die Diagonale mit Frühlingsbeginn, das ist für uns ein Fixpunkt im kulturellen Leben. Und auch von politischer Seite war ganz klar: Ja, wir unterstützen die Diagonale natürlich wieder. Diese herzliche Aufnahme ist einfach großartig. Persönlich mag ich die Stadt gern, weil sie schon so ein südliches Flair hat und sich Natur und Stadt hier verschränken.
Dominik: Ja, das sehe ich ähnlich. Es ist schön, dass viele das Festival mit dem Frühlingsbeginn verbinden und es zeichnet auch das Festive aus, dass man zusammenfindet, zusammensitzt, redet, etc. Nach den vielen Reisen nach Graz war es für mich im ersten Jahr verblüffend, wie produktiv die Stadt im Kulturellen ist. Es gibt unzählige schöne Initiativen und wirklich interessante Kulturpraktiken, auch im kleinstrukturellen Bereich. Und die Vergangenheit der Stadt als eine Art Hochburg der Avantgarde ist spürbar. Wir haben spaßeshalber gesagt, es müsste eigentlich „AvantGraz“ heißen.
Dieses Jahr endet das Festival an einem Dienstag und die Bekanntgabe der Gewinner:innen ist am Montag. Welche Vorteile verspricht diese Veränderung bzw. was erhofft ihr euch dadurch?
Claudia: Es ist eine Änderung, die uns bis zu einem gewissen Grad passiert ist, da am ursprünglich angepeilten Termin die Nationalen Winterspiele der Special Olympics in Graz stattfinden. Damit waren bereits alle Hotelkontingente vergeben und wir mussten nach einem Alternativtermin suchen. Für uns war es wichtig, dass die List-Halle frei ist, weil sie für die Eröffnung ein wichtiger Ort ist bzw. es an keinem anderen Ort so gut funktionieren würde. So sind wir auf den Donnerstagstermin gekommen, der uns dann auch immer besser gefallen hat. Natürlich verschiebt sich damit die Dramaturgie; wir erhoffen uns aber dadurch, dass der Fokus aufs Wochenende den Festivalbesuch erleichtert – auch für Gäste aus dem Ausland.
Dominik: Viele hatten den Eindruck, dass es beim Festival, obwohl es ein super funktionierendes Festival ist, irgendwie zwei Bewegungen gibt. Viele kommen am Dienstag und fahren dann wieder Donnerstag oder Freitag. Es ist uns auch ein Anliegen, die Zweiteilung des Festivals in einen Branchenteil und einen Kino-/Filmteil stärker ineinander zu verweben und da hilft uns die neue zeitliche Struktur, weil sozusagen alles auf einmal passiert.
Auf welche Neuerungen, über die wir zum Teil ja auch schon gesprochen haben, dürfen sich Filminteressierte und Filmschaffende einstellen?
Dominik: Wir beginnen immer gerne damit, zu sagen, dass es keine Neuerungen um der Neuerung Willen gibt. Die Diagonale ist ein gut etabliertes und sehr erfolgreiches Festival. Es geht uns eher darum, Positionen des Festivals noch einmal neu zu kalibrieren, damit wir uns noch präziser oder aktiver zu einer Gegenwart verhalten. Das betrifft zum einen strukturelle Fragen wie das neue Festivalzentrum im Heimatsaal im Volkskundemuseum als Ort des gemeinsamen Austauschs, auch in einem informellen Sinn, und von Veranstaltungen außerhalb des Kinos. Das andere sind weitere Anbindungen in der Stadt mit neuen Orten wie beispielsweise dem Schaumbad mit einer Ausstellung von Lisl Ponger.
Claudia: Vielleicht kurz zum Schaumbad, es nennt sich „Freies Atelierhaus Graz“ und ist ein Ort ein bisschen abseits vom Zentrum Graz, wo alle Kinos liegen. Das definiert schon ein bestimmtes Layout. Beim Schaumbad war es für uns interessant, hinauszugehen und zu schauen, ob wir noch Orte finden, die wir bespielen können, die nicht nur im sogenannten Festivaldistrikt liegen. Es wird auch wieder das Street Cinema geben, das, abseits des Zentrums, durch die Reininghausgründe zieht und Kino im öffentlichen Raum macht. Im Rahmen des Forums im Heimatsaal wird es zum Beispiel einen Expanded Cinema-Abend mit Nachvertonungen und Performances von der filmkoop wien geben. Eine Gruppe in Wien, die fast ausschließlich mit analogem Film arbeitet und sich aus der Schule für unabhängigen Film von Friedl Kubelka entwickelt hat. Das Forum soll auch so etwas ermöglichen können, nicht nur Diskussionsveranstaltungen, sondern auch Lesungen, Performances und so weiter.
Dominik: Wir werden die Internationalisierung, die die Diagonale von Anfang an beispielsweise unter der Festivalleitung von Christine Dollhofer und Constantin Wulff immer ausgezeichnet hat, die auch nicht-österreichische Filmemacher:innen wie Volker Koepp nach Graz eingeladen haben, ein bisschen reaktivieren. Es wird eine Position zu Christoph Hochhäusler geben mit seinen Filmen und Werkgesprächen, auch zu seiner filmpublizistischen Tätigkeit bei Revolver. Christoph Hochhäusler ist ein deutscher Autorenfilmemacher, der einerseits der Berliner Schule zugerechnet wird und sich doch davon unterscheidet, indem er in seinen Filmen die Realität gewissermaßen durch die Genres hindurchdenkt. Oder Jürgen Jürges, einer der wichtigsten Kameraleute Deutschlands, mittlerweile 83 Jahre, der bereits mit Rainer Werner Fassbinder oder Michael Haneke gearbeitet hat. Figuren, die dann im Dialog mit österreichischen Filmschaffenden zu einer neuen Dynamik beitragen sollen. „International“ klingt immer so, als würde man sich aus dem Konzept des Nationalen befreien, um irgendwie shinier zu werden. Das ist nicht das Ziel, sondern die Idee ist, das Nationale immer schon transnational zu denken.
Claudia: Der Fokus liegt weiterhin auf dem Wettbewerb, für den es Statuten gibt, wie er abzulaufen hat und welche Filme eingeladen werden. Es geht darum, das österreichische Kino in seiner ganzen Bandbreite zu repräsentieren. Und das ist ja das Tolle an der Diagonale, dass man die Möglichkeit hat, Filme zu zeigen, die sonst nicht im Kino zu sehen sind. Aber wir möchten diese Nationalitätenfrage aufbrechen und infrage stellen. Heutzutage ist das auch anders als noch vor ein paar Jahrzehnten. Filme passieren viel mehr im Austausch, Regisseur:innen studieren im Ausland, kommen dann wieder zurück, gehen wieder woanders hin, etc…
Was zeichnet für euch den Österreichischen Film aus?
Dominik: Spontan ist meine erste Assoziation Vielfalt, Spielfreude und eine große Bandbreite an formalen Experimenten, die sich dann bis in die Langfilmformate ziehen lassen. Wenn man andere Länder ansieht, außer vielleicht Frankreich und Deutschland, hat man den Eindruck, dass dieses Feld des Langfilms viel verschlossener und viel normativer ist und das liegt darin begründet, dass Österreich diese lange Tradition aus Avantgarde- und Experimentalfilm hat, die nach wie vor sehr lebendig ist. Wir werden insgesamt mit den Langfilmen acht oder neun Positionen haben, die man dem Feld des Innovativen zurechnen kann. Und dann gibt es Filme wie Anja Salomonowitz‘ Mit einem Tiger schlafen. Der Film hat eine extrem spielfreudige, dem Performativen zugeneigte Form. Diese Offenheit in den Formen ist eine große Stärke des Österreichischen Films und liegt darin begründet, dass es mit dem Fördersystem auch den politischen bzw. da Politik ja immer auch Spiegel der Gesellschaft ist, den gesellschaftlichen Willen gibt, solche künstlerischen Formen zu ermöglichen. Und davon profitieren auch wir auf der Diagonale.
Claudia: Der Experimentalfilm und der Artist Film haben in Österreich eine starke und lange Tradition und reüssieren auch international. Das ist eng verknüpft mit einem Fördersystem, das dies zulässt. Das ist in Deutschland beispielsweise nicht der Fall ist und da wird schon fast neidvoll nach Österreich geblickt.
Im Eröffnungsfilm Favoriten von Ruth Beckermann geht es um allgegenwärtigen Themen wie Integration. Welches Augenmerk legt ihr auf Sichtbarkeit von Minderheiten?
Claudia: Wir gehen auf jeden Fall mit dem Bewusstsein rein, dass es da viel zu tun und viel aufzuarbeiten gibt und, dass sich unsere Haltung sehr gut in dem Filmprogramm widerspiegelt, was wir an Positionen und als historisches Special präsentieren. Der Film von Ruth Beckerman ist ein absoluter Glücksfall diesbezüglich, weil er eben verschiedene Themen beinhaltet, die uns wichtig sind. Wo sich auch diese Verschränkung zwischen der Frage nach der Form oder einer Ästhetik mit politischem Inhalt auf perfekte Weise verbindet. Uns ist es auch ein Anliegen auf struktureller Ebene Diversität in das Festival hineinzuholen.
Wir zeigen den Film Asche von Elena Wolff parallel zur Premiere in Graz und haben ihren Film Para:Dies im Programm. Welchen Wert legt ihr auf die Präsentation und Förderung von jungen Filmemacher:innen?
Claudia: Es war der Diagonale seit je her ein Anliegen, junge Filmemacher:innen zu featuren und ihre Arbeiten einem größeren Publikum vorzustellen. Das haben wir auf jeden Fall beibehalten. Dies ist auch gut an den Filmen sichtbar, die wir im Wettbewerbsprogramm ausgewählt haben, aber auch an unserer Zusammenarbeit mit Initiativen wie Cinema Next. Das ist für uns ein absoluter Fixpunkt und auch beim Branchentreff gibt es wieder das Thema der Nachwuchsförderung.
Dominik: Elena Wolff ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich abseits von den gängigen Strukturen Gruppen bilden, in denen etwas Neues entsteht. Ich zitiere den Filmemacher Jean-Luc Godard, der gesagt hat, „Die neuen Dinge beginnen immer damit, wenn zwei Menschen zu sprechen anfangen.“ Diese Linzer Gruppe ist dahingehend sehr, sehr spannend, weil sie so volatil ist: Einmal steht die Person vor der Kamera, dann ist sie hinter der Kamera, dann macht sie den Schnitt… Sie sind sehr vielseitig, produktiv und haben einfach Lust am Machen. Nachwuchs heißt nicht nur, in die Filmakademie zu schauen, sondern auch, den Radar auf Orte zu richten, wo man vielleicht etwas Unerwartetes entdecken kann.
Mit der Diagonale Extended verschmelzen wir das physische Festival mit Streamen im Internet. Seid ihr persönlich Fan von solchen Begleitprogrammen?
Claudia: Es ist eine gute Möglichkeit, sich ein kuratiertes Programm ansehen zu können, auch wenn man nicht vor Ort sein kann. Während der COVID-Zeit war es fein, dass viele Festivals ihre Filme gestreamt haben. Das ist ein super Angebot, aber natürlich merkt man auch schnell, das etwas fehlt. Für uns ist das Begleitprogramm etwas, das parallel zum Festival passiert und ich finde super, dass es in dieser Parallelität und in dieser Überschneidung existiert. Damit öffnet es das Kino einem Publikum, das vielleicht nicht mit dem Kino vertraut ist und macht neugierig. Diese Wechselwirkungen und den Austausch zwischen den zwei Formaten wird es immer geben.
Dominik: Ich habe mich als Journalist immer gegen diesen Alarmismus gewehrt, dass COVID jetzt der Tod des Kinos sein könnte. Da hat man sich fast ein bisschen gierig auf dieses Thema gesetzt. Ich habe immer versucht, dem entgegenzuschreiben. Dass es dieses Grundbedürfnis, Film auch öffentlich in der Gruppe zu konsumieren gibt und dass dies bleiben wird. Ich vertrete die Idee eines sich ergänzenden Nebeneinanders mit virtuellen und vermittelnden Zusatzangeboten. Wir kommen aus einer Generation, in der man im Fernsehen im Grunde genommen ein bisschen Filmgeschichte lernen konnte, weil ganz viel in nächtlichen Programmen wiederholt worden ist. Das ist mittlerweile im Fernsehen schon ausgedünnt, diese Rolle müssen eigentlich virtuelle Streamer übernehmen, weil es total wichtig ist, dass es diese Verfügbarkeit gibt. Wenn junge Leute keinen Kanal haben, wo sie das sehen können, dann wird Geschichte nicht mehr gelebt. Deshalb finde ich zum Beispiel Criterion ein total wichtiges Label, das es schafft, Filmgeschichte so zu präsentieren, dass sie unglaublich attraktiv und reizvoll ist.
Claudia: Im Zweifelsfall bin ich auch für die Sichtbarkeit, auch wenn manche sagen, dass die Qualität so schlecht ist und dass es darum geht, die Filme wirklich im Kino zu sehen. Natürlich geht es auch darum. Aber ich glaube es ist wichtiger, dass möglichst viele Menschen eine bestimmte Position oder einen bestimmten Film sehen, als dass ich mir überlege, ob jetzt die Auflösung passt. Ich denke jetzt an – das ist wieder so ein Nischenprogramm – UbuWeb. Das ist eine Online-Plattform für künstlerische Videos, Performance-Videos von den 60er-Jahren bis heute. Es ist kein Best-Of, aber es versucht, die Avantgardegeschichte seit den 50er-Jahren zu featuren: Maya Deren ist dabei, Filme von VALIE EXPORT, es gibt total viele wichtige Künstler:innen des ausgehenden 20. Jahrhunderts und es gibt auch kuratierte Programme. Darauf wollte Dominik auch hinaus, dass es quasi in dieser Flut von Bildern, mit der wir dann alle im Internet quasi konfrontiert sind, immer wichtig ist, eine kuratierte Auswahl zu haben, einen Guide zu bieten, eine neue Lesart von einer bestimmten Art von Film und insofern ist das Kuratieren von Programmen auch sehr wichtig.
Dominik: Wie das Hinterhof-Kino in Berlin, wo die Qualität oft gar nicht so entscheidend ist,
sondern die Möglichkeit, es überhaupt zu sehen. Und dann kann man immer noch ins Filmmuseum gehen und es in einer edlen, restaurierten Qualität sehen.
Euer Lieblingsfilm 2023?
Dominik: Ich habe tatsächlich, das ist ganz neu, keine einzige Liste gemacht dieses oder letztes Jahr. Ich muss einen Moment darüber nachdenken. Was vielleicht nicht mein Lieblingsfilm ist, den ich aber sehr mochte, ist The Holdovers von Alexander Payne, den ich Ende des Jahres in einer Sneak Preview zu Weihnachten gesehen habe.
Claudia: Ja, ich habe immer 5.000 Lieblingsfilme. Ich sage es jetzt, weil es der letzte war, den ich gesehen habe. Der Junge und der Reiher. Es ist sicher einer meiner Lieblingsfilme – es ist jetzt nicht DER Lieblingsfilm, aber definitiv einer meiner.
Und zu guter Letzt: This or That?
Sommer oder Winter
Beide: Katzen.
Graz oder Wien?
Claudia: Wien. Dominik: Hin-und her.
März oder April?
Dominik: Jetzt gerade April. Claudia nickt.
Dokumentarfilm oder Spielfilm?
Dominik: Hybrid. Claudia: Beides.
Kaufen oder leihen?
Claudia: Leihen. Dominik: Kaufen.
Puntigamer oder Ottakringer?
Beide: Puntigamer.
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